Themen - Nr. 6/2012

Fachkräfte · Regionalentwicklung

Pendler - einst Entlastung, jetzt Entwicklungspotenzial?

Folgt man der reinen Logik des Marktes, ist die uneingeschränkte Mobilität von Arbeitskräften nur zu unterstützen. Argumente dafür gibt es reichlich.

Besser anderswo Arbeit finden als zu Hause arbeitslos sein, besser dort nachgefragte Jobs mit den eigenen Kompetenzen ausfüllen und hierfür Pendeln in Kauf nehmen, als sich im Heimatort mit einem Arbeitsplatz unter Wert verkaufen. Diskussionen dieser Art sind auch in Brandenburg bekannt. Bis heute pendeln viele Tausende zu ihren Arbeitsplätzen und entlasten damit ihren Heimatarbeitsmarkt. Nicht zuletzt blickt man - wie andere Länder auch - auf jahrelange Abwanderungstendenzen.

Pendlerbewegungen hinterfragen

Was aber, wenn Heimatarbeitsmärkte durch Auspendeln gar nicht mehr wie bisher entlastet werden müssen? Wenn bisherige Auspendler mit ihren Qualifikationen und Arbeitserfahrungen eigentlich wieder in der eigenen Region gebraucht werden? Wenn Kommunen sogar darüber nachdenken, bisherige Einpendler, die sich über Jahre hinweg ja zumindest tagsüber in ihrer Region aufhalten, mitsamt ihren Familien zu Einwohnern zu machen? Zugegeben, das ist nicht überall in Brandenburg der Fall. Dennoch trägt eine Kombination aus guter wirtschaftlicher Situation und der demografisch bedingten Notwendigkeit, ältere Jahrgänge in den Unternehmen zunehmend zu ersetzen, dazu bei, dass sich zumindest einige Regionen in der Nähe der Metropole Berlin stärker um ihre Pendlerbewegungen Gedanken machen.

Fürstenwalde/Spree

Die Stadt Fürstenwalde/Spree ist so ein Fall.  Seit 2006 ist sie Regionaler Wachstumskern und mit einem Besatz von fast 850 Unternehmen mit über 12.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten wichtiger Industriestandort vor den südöstlichen Toren Berlins. Verkehrstechnisch per Schiene und Straße gut an die Metropole angebunden, konnte der Standort in den vergangenen Jahren relevante Arbeitsplatz- und Umsatzzuwächse verzeichnen - und weist dabei noch immer eine sehr hohe Pendlerintensität auf. 7.300 Einpendler und Einpendlerinnen zu Arbeitsplätzen in Fürstenwalde/Spree sowie 5.700 Auspendlerinnen und Auspendler zu Arbeitsplätzen in anderen Standorten dokumentieren einerseits die enge wirtschaftliche sowie arbeitspolitische Verflechtung von Fürstenwalde/Spree mit seinem näheren wie weiteren Umland. Diese Zahlen zeigen andererseits, dass der Standort mit seinen vier Industrieclustern Verkehr/Mobilität/Logistik, Energietechnik, Kunststoffe/Chemie und Metall heute sogar nennenswerte Einpendlerüberschüsse (+1.600) generieren kann. Bisher kann Fürstenwalde auch als leistungsfähiger Bildungs- und Forschungsstandort von der Nähe zu Berlin z. B. dadurch profitieren, dass fast doppelt so viel akademisch gebildete Fachkräfte nach Fürstenwalde/Spree ein- als auspendeln.

Transnationales Projekt sucht gute Beispiele

Auch wenn heute viele qualifizierte Einwohner die Stadt täglich zur Arbeit verlassen, profitiert Fürstenwalde bisher also per saldo von den Pendlerströmen. Aber wird das so bleiben? Andere Regionen mit Nähe zur Metropole Berlin zeigen, dass dies nicht immer der Fall sein muss. Hinzu kommt: Der wachsende Bedarf in Berlin-Brandenburg an Fachkräften, insbesondere in der Metropole Berlin und im vielfach prosperierenden ‚Speckgürtel‘, sowie das demografisch bedingt sinkende Arbeitskräfteangebot lassen erwarten, dass die Konkurrenz um Fachkräfte zwischen Standorten, Branchen und Unternehmen in den kommenden Jahren erheblich zunehmen wird. Vor diesem Hintergrund entschloss sich die Stadt 2011, in Kooperation mit dem Potsdamer Progress-Institut für Wirtschaftsforschung (PIW) und der Berliner PersonalTransfer GmbH ein transnationales Projekt ‚Transfer international-kommunal‘ auf den Weg zu bringen, das bis zum Jahresende 2013 in vergleichbaren Regionen Europas nach Good Practice im kommunalpolitischen Umgang zum Thema Pendlerverhalten suchen soll.

Mit ‚an Bord‘ sind Regionen, die sich in ähnlicher Konstellation im Schlagschatten europäischer urbaner Metropolen befinden und die sich ebenfalls mit Möglichkeiten, aber auch Grenzen kommunalpolitischer Antworten auf die Herausforderungen der Mobilität beschäftigen.

Belgien - Schweden - Österreich

Die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens grenzt im Norden an das Dreiländereck Belgien-Deutschland-Niederlande, im Süden an Luxemburg und im Osten an Deutschland. Aufgrund der Nord-Süd-Ausdehnung des Gebietes weisen die neun Gemeinden der Gemeinschaft eine hohe Mobilität ihrer Bewohner auf, die sich im Süden stark auf den Raum Luxemburg, im Osten auf den Raum Aachen/Köln sowie im Westen und Norden auf größere belgische Städte bis hin zur Hauptstadt Brüssel richtet. In der Region dominieren mittlere und kleine Betriebe, die gegenwärtig zunehmend Probleme mit der Besetzung von Stellen mit Fachkräften haben.

Sandviken kommun, eine Industriestadt mit 37.000 Einwohnern in der schwedischen Provinz Gävleborgs Län (Gävleborg) und Stammsitz des Spezialstahlunternehmens und Global Players Sandvik AB, verfügt über umfangreiche Erfahrungen im Standortwettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte und muss sich im Wettbewerb mit der nur 20 km nördlich gelegenen Provinzhauptstadt Gävle und der südlich gelegenen Landeshauptstadt Stockholm behaupten. Wiener Neustadt schließlich ist mit 41.000 Einwohnern zwar die elftgrößte Stadt Österreichs, muss sich hinsichtlich des Wettbewerbs um qualifizierte Arbeitskräfte dennoch mit der nur etwa 50 km nördlich gelegenen Bundeshauptstadt und Metropole Wien messen. Entsprechend verfügen Kommune und Arbeitsverwaltung über umfangreiche Erfahrungen bei der Bewältigung dieser Herausforderung.

Uwe Kühnert,
PersonalTransfer GmbH

 Seitenanfang

Infos

Internetseiten des PIW - Progress-Institut für Wirtschaftsforschung GmbH;
Dr. Karsten Schuldt, E-Mail:
piw-potsdam(at)t-online.de