LASA Brandenburg GmbH (Druckversion): Massagen und Rückenschule sind nicht genug

Mohrrübe

Gesund arbeiten in Brandenburg

Betriebe, die auf gesunde Arbeit achten, steigern ihre Attraktivität. Doch gerade kleineren Betrieben fehlen die Kapazitäten. Das Brandenburger Arbeitsministerium unterstützt sie deshalb.

Massagen und Rückenschule sind nicht genug

Gute Arbeitsorganisation und wertschätzender Umgang mit den Beschäftigten sind die Schlüssel zur betrieblichen Gesundheitsförderung. Das können auch kleine Unternehmen umsetzen. Ein Interview mit Prof. Dr. Antje Ducki.

Prof. Dr. Antje Ducki
Professor Dr. Antje Ducki lehrt an der Beuth Hochschule für Technik in Berlin Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Personalmanagement. Sie ist davon überzeugt, dass jeder Betrieb die Gesundheit seiner Beschäftigten fördern kann und davon profitiert.

Als Hochschullehrerin gehören Sie der Berufsgruppe mit dem geringsten Krankenstand an. Warum hält der Beruf Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen gesund?

Es gibt mehrere Erklärungen. Die wichtigste ist, dass wir zu einer Beschäftigtengruppe gehören, die eine sehr gute Ausbildung und ein gutes Einkommen hat. Ein zweiter Punkt ist, dass wir relativ gute Arbeitsbedingungen haben. Hochschullehrer gehören zu der Berufsgruppe, die die meisten Ressourcen zur Verfügung hat: Ich habe Freiräume in der Gestaltung meiner Arbeitsinhalte, ich kann meine Forschungsthemen selbst bestimmen, Anträge schreiben und wenn diese bewilligt werden, bin ich die nächsten Jahre mit den Themen beschäftigt, die mich interessieren. Die Ressourcen ermöglichen es mir auch, mit Belastungen besser umzugehen. Ein Beispiel zur Arbeitsorganisation: Ich kann nicht an einem Tag acht Stunden lehren. Ich kann aber Einfluss nehmen und mir meine Stunden gut über die Woche verteilen. Hochschullehrer sind ein gutes Beispiel dafür, dass, wenn Menschen Ressourcen haben, sie gesünder sind, auch  weil sie mit Belastungen besser umgehen können.

Betriebliche Gesundheitsförderung heißt, Belastungen abzubauen, die sich unmittelbar aus der Arbeitsorganisation, der Arbeitsaufgabe und aus dem sozialen Miteinander im Betrieb ergeben.

Lassen sich die Aspekte, die Sie aufgezählt haben, auf andere Berufe übertragen?

Ich bin der festen Überzeugung, dass es in jedem Beruf Ressourcen und Möglichkeiten gibt, diese weiterzuentwickeln. Es ist oft eine Frage der Arbeitsorganisation.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir haben für die Straßen- und Gehwegreiniger der Berliner Stadtreinigung ein ‚Betriebliches Stress- und Ressourcenmanagement-Programm‘ entwickelt. Im Rahmen dieses Programms haben wir unter anderem die verfügbaren Ressourcen für diese Berufsgruppe identifiziert, wie zum Beispiel Planungs- und Entscheidungsspielräume im Team oder auch Möglichkeiten der Abstimmung und Hilfe untereinander. Wenn die Beschäftigten sich untereinander gut abstimmen, wenn sie ihre Reviere und die Arbeit im Team untereinander eigenverantwortlich aufteilen können, dann sind das wichtige Ressourcen.

Welche Rolle spielt Führung?

Der wertschätzende Umgang von Führungskräften mit ihren Mitarbeitern ist eine weitere Ressource. Das ist gerade für Beschäftigte mit schwierigen Arbeitsbedingungen ein wichtiger Puffer. Wenn das, was ich täglich leiste, von meinen Vorgesetzten gesehen und geschätzt wird, fällt es mir leichter, schwierige Situationen zu meistern. Ich kann auch mit den Vorgesetzten reden, wenn ich mit einer Bedingung in meinem Arbeitsumfeld nicht zurechtkomme, und habe dann eher die Möglichkeit, wirkliche Veränderungen herbeizuführen. Das letzte Stichwort ist Beteiligung. Das ist eine der wichtigsten betrieblichen Ressourcen, die es gibt: Sie können in jedem Arbeitsprozess, egal bei welcher Tätigkeit, die Beschäftigten selber fragen, wo der Schuh drückt, was sie sich wünschen und wo unmittelbar Abhilfe geleistet werden müsste. Das heißt, letztendlich hängen die gute Gesundheit und damit auch die Fehlzeiten nicht nur daran, wie hoch die Belastungen sind, sondern auch, wie viel Ressourcen Beschäftigte zur Verfügung haben. Man muss nur genau hinsehen, in welcher Berufsgruppe welche Ressourcen vorhanden sind und welche wie weiterentwickelt werden können.

Im Land Brandenburg gibt es viele kleine und mittlere Unternehmen. Gerade bei ihnen ist Gesundheitsförderung wenig verbreitet. Ist das, was Sie eben aufgezählt haben, etwas, was in kleinen und mittleren Unternehmen gelebt werden kann?

Kleine Unternehmen können das genauso und teilweise sogar viel besser als große Unternehmen. Die Wege sind kürzer, der Kontakt zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist unmittelbarer und damit ist auch der Überblick darüber besser, was die Beschäftigten belastet. Und die Lösungen sind oft so einfach und können so entlastend sein, dass wirklich jeder Unternehmer, und wenn er nur zwei Beschäftigte hat, sehr wohl etwas für die Gesundheit der Beschäftigten machen kann. Die Frage ist, ist er darüber informiert, was alles zur Gesundheitsförderung zählt? In kleineren Unternehmen besteht häufig noch die Vorstellung, Gesundheitsförderung heißt, auf einem grünen Ball zu hopsen. Bestenfalls wird der Arbeitsschutz darunter verstanden. Aber all die Maßnahmen, wie Handlungsspielräume, gute Planbarkeit von Arbeitsprozessen, Reduzierung  von Informationsdefiziten, Vermeidung von Unterbrechungen, sind Dinge, von denen viele nicht wissen, wie wichtig sie für die Gesundheit der Beschäftigten sind.

Dennoch scheint es sehr schwer zu sein, kleinere Unternehmen davon zu überzeugen, mitzumachen.

Wir haben gerade ein Projekt für niedersächsische Handwerksbetriebe gestartet, in dem es unter anderem auch um Gesundheitsförderung geht. Vor einem Jahr wollten nur wenige etwas vom Thema Gesundheitsförderung wissen. Mittlerweile ist das Thema für Unternehmer durchaus interessant. Warum? Die Betriebe können ihre Stellen nicht mehr besetzen. Der demografische Wandel ist auch dort angekommen, mittlerweile gibt es in vielen Gewerken einen erheblichen Fachkräftemangel und das bei guter Auftragslage. Das zwingt viele Unternehmer dazu, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie halbwegs fitte Leute in ihre Betriebe bekommen und was sie ihnen anbieten können im Unterschied zur Konkurrenz. Da kann die Gesundheitsförderung ein ganz elementares Instrument der Arbeitgebermarkenbildung sein.

Was hat ein Unternehmen neben der Markenbildung von Gesundheitsförderung?

Es gibt viele Studien, die angeblich belegen, dass jeder in die Gesundheitsförderung investierte Euro gut zwei Euro zurückbringt. Ob dieser sogenannte return on investment wirklich zu berechnen ist, wage ich zu bezweifeln. Aber ich sage jedem Unternehmer, dass, wenn er Bedingungen schafft, unter denen Menschen möglichst störungsfrei arbeiten können, diese Menschen effizienter arbeiten können. Das bedeutet eine unmittelbar bessere ökonomische Grundsituation. Man muss natürlich darauf achten, dass man diesen Effizienzgewinn nicht dazu nutzt, die Arbeitszeit so vollzupacken, dass die Leute keine Luft mehr bekommen. Man muss effiziente Bedingungen schaffen, aber auch Pausen realisieren.

Nicht zu unterschätzen ist das Betriebsklima. Arbeitgeber, die sich kümmern, haben meistens ein besseres Betriebsklima. Das führt dazu, dass die Leute gerne bleiben, auch wenn es in einem anderen Betrieb zwei Euro mehr gibt. Ein weiterer Aspekt ist die Kundenorientierung. Jemand, der gerne arbeitet und zufrieden ist, ist im Umgang mit den Kunden ein angenehmerer Partner als jemand, der schlecht gelaunt morgens beim Kunden aufschlägt.

Sie sind Mitherausgeberin des Fehlzeitenreports der AOK. Was finden Sie auffällig?

Auffällig sind die landesbezogenen Unterschiede in der Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage, die teilweise erheblich sind. Wir haben Bundesländer mit einem sehr niedrigen Krankenstand, wie Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern. Und dann haben wir Bundesländer, die eine deutlich höhere durchschnittliche Anzahl von Arbeitsunfähigkeitstagen pro Beschäftigten haben, wie Berlin und Nordrhein-Westfalen.

Wie sieht es in Brandenburg aus?

Brandenburg zählt zu den Ländern, die hohe Fehlzeiten aufweisen. Hier stellt sich die Frage nach dem Grund. Da kommen wir schnell zur Bevölkerungs- und zur Wirtschaftsstruktur. Zur Bevölkerungsstruktur gehören die Alters-, die Geschlechter- und die Bildungsstruktur. In Brandenburg waren beispielsweise viele junge gut qualifizierte Menschen gezwungen, die Region zu verlassen, weil es keine Arbeitsplätze gab. Sie sind dorthin gegangen, wo es Arbeit gab. Damit können sie die Arbeitsunfähigkeitsstatistik des Landes Brandenburg nicht mehr positiv beeinflussen. Geblieben sind viele, die nicht mehr so mobil sind. Das sind oft niedriger Qualifizierte, Ältere und vielleicht auch Leute, die gesundheitlich nicht mehr ganz fit sind. Das ist ein Erklärungsgrund, warum es solche Unterschiede gibt. Zwar sind im Fehlzeitenreport die Zahlen alters- und geschlechterstandardisiert und in der Tat gibt es dann neue Gewichte, aber an der grundsätzlichen Ausprägung ändert sich nichts. Wir können zwar nicht sagen, die Berliner sind so krank, weil da nur ältere Menschen leben. Aber es ist ein Faktor. Der andere Faktor ist die Wirtschaftsstruktur: Welche Branchen sind in den Ländern besonders stark vertreten? Es gibt Branchen, die mit sehr hohen Arbeitsunfähigkeitstagen belastet sind, andere Branchen sind es weniger.

Im Umkehrschluss heißt das, dass die Unternehmen viel machen müssen, um ...

... gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder zurückzuholen. Ja, das heißt das.

Laut einer Untersuchung der Betriebskrankenkassen und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kann ein Drittel der Arbeitsunfälle auf Belastungen am Arbeitsplatz zurückgeführt werden, wie kann das sein?

Ein Beispiel ist Zeitdruck. Wer großen Zeitdruck hat, zum Beispiel auf einer Baustelle, und genau weiß, er ist im Verzug, verzichtet zur Not auf bestimmte Sicherheitsvorkehrungen und steigt auch mal ungesichert auf das Dach. Das Risiko zu verunfallen, ist dann sehr viel höher. Zeitdruck hat einen nachweislichen elementaren Zusammenhang zu Unfällen. Das bedeutet, wenn man Unfälle reduzieren will, muss man sich auch mit den psychischen Belastungen beschäftigen, in diesem Fall mit dem Zeitdruck. Ein weiteres Beispiel ist eine schlechte Baustellenplanung, um beim Beispiel Bau zu bleiben. Wenn Arbeitsmittel nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen, weil sie noch auf einer anderen Baustelle gebraucht werden, weicht man vielleicht auf alte abgenutzte Arbeitsmittel aus, die nicht den notwendigen Qualitätsstandards entsprechen. Auch hier kann die Unfallgefahr steigen.

Wenn Unternehmen Gesundheitsförderung betreiben, bieten sie meistens Massagen und Gesundheitskurse an. Reicht das?

Nein: Betriebliche Gesundheitsförderung heißt, Ressourcen zu schaffen und Belastungen abzubauen, die sich unmittelbar aus der Arbeitsorganisation, der Arbeitsaufgabe und aus dem sozialen Miteinander im Betrieb ergeben. Das müssen die Hauptansatzpunkte sein. Ich habe vorhin viele Beispiele aufgezählt, was das sein kann, beispielsweise Informationsdefizite abbauen oder Unterbrechungen vermeiden. Angebote wie Rückenschule und gesunde Ernährung sind nicht verkehrt. Natürlich sollen Beschäftigte lernen, wie sie gesünder heben und tragen. Nur, dabei darf Gesundheitsförderung nicht stehenbleiben. Wenn es dabei stehenbleibt, dann muss man sich nicht wundern, wenn nachher keine großen Effekte dabei herauskommen. Diese Angebote müssen ergänzt werden, um die Verhältnisprävention, also um die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, sodass gesundheitsgerechtes Arbeiten möglich ist. Das ist der Ansatz.  (jac)

Infos

AOK-Fehlzeitenreport auf den Internetseiten des AOK-Bundesverbandes

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