100 Prozent sind, wenn beides funktioniert
Familie und Beruf - die Servicestelle hilft, Reibungsverluste zu vermeiden
Die Staatssekretärin der Brandenburger Landesvertretung beim Bund, Tina Fischer, hatte ihre neun Monate alte Tochter mitgebracht. Die Vertreterin der Deutschen Bank, Beate Hofmann, ist Mutter von drei Kindern, sie arbeitet, ihr Mann kümmert sich um die Kinder. Und für Hans-Dietrich Metge vom Unternehmerverband Brandenburg sei es schon mal schwer, Abendtermine mit jüngeren Verbandsmitgliedern zu finden, weil diese zu Hause bei ihren Kindern sein möchten, erzählt er.
Gekommen waren sie zur Fachtagung der Servicestelle Arbeitswelt und Elternzeit, kurz SAE. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ESF-geförderten Projekts beraten Unternehmen und (werdende) Eltern rund um Mutterschutz und Elternzeit. Die SAE sei einmalig in Deutschland, weil Eltern und Unternehmen beraten werden, sagte Beate Hofmann. Unter anderem deshalb habe das Projekt die Auszeichnung ‚Ausgewählter Ort‘ erhalten. Den Preis verleiht die Deutsche Bank zusammen mit der Initiative ‚Deutschland - Land der Ideen‘ (s. unten).
Größere Bereitschaft bei Jüngeren
Gerade um die Unternehmen zu erreichen, sei die Servicestelle wichtig, sagte Professor Carsten Becker, der die Servicestelle evaluiert hat. Unternehmen nähmen noch nicht genügend wahr, dass Vereinbarkeit vom Thema Fachkräftemangel nicht zu trennen sei. Hans-Dietrich Metge vom Unternehmerverband bewertet es etwas anders: „Unternehmer machen, was betriebswirtschaftlich notwendig ist.“ Unternehmer sähen den Bereich Familie nicht vorrangig als Unternehmensaufgabe. Aber er sieht Wandel. In vielen Unternehmen sei Familienfreundlichkeit zunehmend gelebte Praxis. Gerade jüngere Unternehmer hätten eine größere Bereitschaft, sich der Vereinbarkeit aktiv anzunehmen, so Metge. Ständige Forderungen der Politik an die Unternehmen, etwa in Bezug auf mehr Familienfreundlichkeit, mag Metge nicht mehr hören. Allerdings gehöre für ihn die Familienfreundlichkeit auf jeden Fall zur „Arbeitgebermarke“, sagt er. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Thema Fachkräfte. Ein originär frauen- und familienpolitisches Thema ist die Vereinbarkeit schon lange nicht mehr. Frauen werden in der Wirtschaft gebraucht. Arbeitsminister Günter Baaske wies auf der Tagung darauf hin, dass in Brandenburg Stellen für Fachkräfte nicht besetzt werden können, „obwohl bundesweit fünf Millionen gut ausgebildete Frauen zu Hause bleiben“. Günter Baaske unterstrich, dass das Angebot der Servicestelle nachgefragt wird. In den ersten drei Projektjahren hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als 2.400 Beratungsgespräche geführt, davon mehr als 700 mit Unternehmensvertreterinnen und -vertretern.
Arbeitgeber ländliche Gemeinde
Ganz praktische Probleme hat Barbara Klembt, Bürgermeisterin der Gemeinde Wiesenburg/Mark. Die Gemeinde erstreckt sich über eine große Fläche. Fünf gemeindeeigene Kitas bieten ortsnahe Betreuung. „Wenn eine Erzieherin schwanger wird, ist es für uns fast unmöglich, Ersatz zu bekommen“, sagt sie. Auf dem Arbeitsmarkt gebe es so gut wie keine Erzieherinnen. Sie würde gerne das Angebot der Servicestelle testen, dabei zu helfen, eine Ersatzkraft zu finden. Ihre Bitte auf der Tagung, den ländlichen Raum zu berücksichtigen, geht aber weiter. Sie denkt dabei beispielsweise an den Betreuungsschlüssel, der es ihr finanziell nicht ermöglicht, in kleinen Kitas mehr als eine Erzieherin zu beschäftigen.
Berechtigtes Interesse der Frauen - Befürchtungen der Arbeitgeber
Karin Böttger ist im Brandenburger Arbeitsministerium für die Servicestelle zuständig. Sie ist die Initiatorin der Servicestelle, hatte die Idee dafür. Karin Böttger betont das „berechtigte Interesse“ von Frauen, im Anschluss an Mutterschutz und Elternzeit auf einen Arbeitsplatz zu gleichen Bedingungen zurückzukehren. Denn das sei häufig nicht der Fall. So hätten bundesweit 36 Prozent der Rückkehrerinnen eine andere Stellenbeschreibung, bei 37 Prozent hätten die Unternehmen Managementaufgaben entzogen. „Die Arbeitgeber befürchten Reibungsverluste nach der Rückkehr“, sagt Böttger. Deswegen würden Arbeitsaufgaben anders verteilt. Die Servicestelle soll helfen, diese Befürchtungen zu reduzieren. Etwa dadurch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Arbeitgeber und Eltern dabei unterstützen, die Rückkehr auf den Arbeitsplatz frühzeitig zu organisieren.
Professor Carsten Becker plädierte dafür, die Arbeit der Servicestelle zu verstetigen. Perspektivisch müsse die Servicestelle ein Dienstleistungszentrum werden, das Unternehmen hilft, sich familienfreundlich zu entwickeln.
Vereinbarkeit, ein neuer Trend
Bundesweit wird für Unternehmen die Vereinbarkeit als Strategie zur Fachkräftesicherung wichtiger. Das ist ein Ergebnis der DIHK-Unternehmensbefragung vom Herbst 2011: Innerhalb der letzten vier Jahre habe der Anteil der Unternehmen, die ihre Maßnahmen ausbauen wollen, von 15 Prozent auf 25 Prozent zugenommen. Auch in Brandenburg gehen Unternehmen diesen Weg. Hans-Dietrich Metge kennt Unternehmen, „ich kann auf der Stelle fünf oder sechs nennen“, die flexible Arbeitszeiten oder Belegplätze in Kitas haben. „Der Mittelstand tut es, wenn es betrieblich notwendig und machbar ist“, sagt er.
Sabine Hübner, Abteilungsleiterin im Arbeitsministerium, sieht die Entwicklung. Die Arbeitgeber hätten erkannt, dass eine gute Work-Life-Balance eine produktive Ressource der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist, so Sabine Hübner. „Beruf und Familie sind zu vereinbaren“, sagt auch Staatssekretärin Tina Fischer, aber es gebe Grenzen: „100 Prozent auf der Arbeit und für die Familie geht nicht.“ Für Arbeitsminister Baaske sind „100 Prozent, wenn beides funktioniert“. (jac)
Eine tolle Idee am richtigen Ort - die Servicestelle Arbeitswelt und Elternzeit
Der Erfolg hat viele Gesichter, von links Christian Neumann (SAE), Dr. Veit-Stephan Zweynert (Geschäftsführer der LASA Brandenburg GmbH), Monika Fischer (SAE), Monika Burkhard (Land der Ideen), Simone Olbrich (SAE), Gerlinde Grass (SAE), Minister Günter Baaske, Katarina Weisberg (Landesamt für Arbeitsschutz), Staatssekretärin Tina Fischer, Beate Hofmann (Deutsche Bank), Karin Böttger (Brandenburger Arbeitsministerium). Auf der Fachtagung am 9. Dezember in der Berliner Vertretung des Landes Brandenburg erhielt die Servicestelle den Preis ‚Ausgewählter Ort‘. Überreicht wurde dieser von Beate Hofmann von der Deutschen Bank. Beate Hofmann hob hervor, dass hinter dem Projekt SAE vier Institutionen stünden, die den Erfolg begründeten: das Gleichstellungsreferat des Brandenburger Arbeitsministeriums, der Projektbeirat, die LASA und das Team SAE. (jac)
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