Fachkräftesicherung

Bestandsaufnahme

Fachkräfte werden knapper. Brandenburger Betriebe haben bundesweit die größten Schwierigkeiten, Stellen mit passend qualifizierten Bewerbern zu besetzen. Das ist ein Ergebnis einer aktuellen Stellenbesetzungsanalyse des IAB.

Wirtschafts- und Eurokrise hin oder her: Die Klagen von Arbeitgebern über fehlende Fachkräfte reißen nicht ab. Aber wie kann Politik verlässlich Aussagen darüber gewinnen, ob es sich nicht nur um Einzelfälle handelt, wenn Betriebe an prominenter Stelle über Rekrutierungsprobleme sprechen? Und liegen diese Probleme tatsächlich immer daran, dass keine Fachkräfte verfügbar sind oder werden sie nicht auch davon beeinflusst, wie attraktiv sich Arbeitgeber im Wettbewerb um qualifiziertes Personal aufstellen? Was sind die Aufgaben der Politik?

Die Analyse des IAB

Aus der Erhebung des Gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots (IAB-EGS), einer repräsentativen Betriebsbefragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), lassen sich wichtige Erkenntnisse zur Fachkräftesituation auch auf regionaler Ebene ziehen. In den Betrieben zeigt es sich zuallererst, wie gut der Ausgleich zwischen offenen Stellen und Arbeitssuchenden gelingt, lange bevor die üblichen Arbeitsmarktindikatoren, wie die Entwicklung der Beschäftigung und der Neueinstellungen, Hinweise darauf geben können. Zudem erlauben es die Befragungsergebnisse zumindest partiell, Ursachen für das Nicht-zusammenpassen zwischen beiden Marktseiten zu identifizieren und damit eine echte Situation fehlender Fachkräfte von anderen Faktoren abzugrenzen.

Einige Indikatoren aus der IAB-EGS werden im Folgenden für die Zeit 2010/2011 vorgestellt. Analysiert wird der Verlauf von Stellenbesetzungen, die erfolgreich mit einer Neueinstellung endeten. Nach wie vor werden die allermeisten offenen Stellen erfolgreich besetzt, auch wenn die Suche teilweise länger dauert als früher oder mehr Kompromisse bei der Bewerberauswahl gemacht werden müssen. Vergleichsweise selten kommt es zu einem wirklichen Abbruch der Personalsuche, weshalb bislang eher von Fachkräfteengpässen zu sprechen ist, nicht aber von breiten Fachkräftemangellagen. Die Analysen basieren auf Angaben zu insgesamt 19.500 Stellenbesetzungsprozessen, davon 10.600 in Westdeutschland, 8.900 in Ostdeutschland, darunter wiederum 1.400 in Brandenburg für den Zeitraum 2010/2011. Die einzelbetrieblichen Angaben wurden auf die Gesamtwirtschaft hochgerechnet.

Eine von drei Stellenbesetzungen verläuft schwierig

2010/2011 waren in Ostdeutschland durchschnittlich 27 Prozent aller Stellenbesetzungen mit Schwierigkeiten verbunden. Das war etwas weniger als in Westdeutschland. Dort lag der Anteil bei durchschnittlich 30 Prozent (s. Abb.). Brandenburg sticht mit 35 Prozent weit aus Ostdeutschland heraus, hier verlief eine von drei Stellenbesetzungen nicht reibungslos. Lediglich ein anderes Bundesland in Deutschland, Baden-Württemberg, hatte 2010/2011 einen gleich hohen Anteil. Schwierigkeiten bei Stellenbesetzungen können aber verschiedene Ursachen haben. Nicht immer sind es fehlende Fachkräfte, die die Personalrekrutierung verkomplizieren.

Grafik: Schwierigkeiten bei erfolgreichen Stellenbesetzungen in Westdeutschland, Ostdeutschland und Brandenburg, jeweils als Anteil in Prozent aller Neueinstellungen im Zeitraum 2010/2011
Schwierigkeiten bei erfolgreichen Stellenbesetzungen in Westdeutschland, Ostdeutschland und Brandenburg, jeweils als Anteil in Prozent aller Neueinstellungen im Zeitraum 2010/2011; Quelle: IAB-Erhebungen des Gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots 2010-2011, Berechnungen des IAB

Häufigste Ursache - Qualifikation

Wenn Schwierigkeiten auftraten, so war die am häufigsten genannte Ursache eine unzureichende Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber, und zwar bundesweit. In Brandenburg waren 26 Prozent aller Neueinstellungen davon betroffen. Bei jeder vierten Neueinstellung machten sich also echte Fachkräfteengpässe bemerkbar: Zwar wurde die Stelle besetzt, aber aufgrund qualifikatorischer Defizite der Bewerber gestaltete sich dies schwierig. Kein anderes Bundesland zeigt einen so hohen Anteil an qualifikatorischen Engpässen bei Neueinstellungen. Betriebe suchen häufig spezielle Fachkräfte, die in den Regionen nicht ohne Weiteres vorhanden sind. Das weist darauf hin, dass Brandenburger Betriebe besonders von einer relativen Verknappung von Fachkräften betroffen sind.

Darauf deutet auch die Zahl von Bewerbungen auf ein Stellenangebot hin. In Brandenburg gab es 2010/2011 durchschnittlich zehn Bewerbungen, darunter waren aus der Sicht der Betriebe vier geeignet. In Ostdeutschland insgesamt gab es durchschnittlich 29 Bewerbungen, darunter acht geeignete, in Westdeutschland waren es 19 Bewerbungen, darunter sieben geeignete.

Im Durchschnitt machten ost- und westdeutsche Betriebe bei 16 bzw. 17 Prozent aller Einstellungen Kompromisse bei der ausgewählten Person und akzeptierten Bewerber, die hinsichtlich Qualifikation, Erfahrung oder Alter nicht dem gewünschten Profil entsprachen. Brandenburg unterscheidet sich hier nicht nennenswert von den anderen Bundesländern. Aber das Land sticht wiederum weit aus Ostdeutschland heraus, wenn man den Anteil der Neueinstellungen betrachtet, für deren Zustandekommen betrieblicherseits Lohnzugeständnisse erforderlich waren. Dies betraf in Brandenburg jede fünfte Neueinstellung (19 Prozent). Im ostdeutschen Durchschnitt waren Zugeständnisse nur bei rund 12 Prozent aller Einstellungen erforderlich, in Westdeutschland bei ebenfalls 12 Prozent.

Beim Lohn nachlegen

Brandenburger Betriebe stehen also unter Druck, was ihre Lohnangebote betrifft. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass sie darauf reagieren und im Ergebnis häufiger höhere Löhne zahlen. Eine besondere Rolle spielt für das Bundesland die Nähe zur Hauptstadt Berlin, die gerade junge und qualifizierte Arbeitskräfte anlockt. Die vergleichsweise geringe Zahl von noch verfügbaren passend Qualifizierten kann entsprechenden Lohndruck ausüben, eine ganz normale Situation, wenn Fachkräfte knapper werden.

Dennoch ist es bei vielen Betrieben in Ostdeutschland noch nicht angekommen, dass sich der Arbeitsmarkt massiv verändert hat. Vielerorts fehlt es heute an Nachwuchs, um allein die altersbedingten Abgänge aus Beschäftigung zu ersetzen. Viele gut qualifizierte Arbeitskräfte sind in den beiden letzten Jahrzehnten in andere Regionen abgewandert und brauchen nun deutlich sichtbare Anreize, um zurückzukommen. Andere überregional mobile Arbeitssuchende ziehen Brandenburg bei der Jobsuche vielleicht nicht in Betracht, mit dem Wissen, dass man im Osten nach wie vor deutlich weniger verdienen kann als im Westen. Löhne sind ein wichtiges Element im Wettbewerb um gute Köpfe, und gerade in Ostdeutschland müssen sich die Betriebe diesbezüglich mehr bewegen.

Attraktives Arbeitgeberimage

Attraktive angemessene Löhne sind aber nicht alles. Mindestens genauso wichtig sind attraktive Arbeitsbedingungen, die an die Bedürfnisse unterschiedlicher Beschäftigungsgruppen angepasst sein sollten: an die jungen dynamischen Durchstarter, die hochflexibel sind, immer gern Überstunden machen und jederzeit gern ihren Koffer für eine unerwartete Dienstreise packen; an junge Eltern, die genauso gern und produktiv arbeiten, die aber stabilere Rahmenbedingungen brauchen, denn sie müssen die Kinder rechtzeitig aus der Kita holen und Dienstreisen bedürfen bei ihnen einer privaten Vorausplanung; an ältere Arbeitnehmer, die gern ihre Arbeitszeit flexibel gestalten würden oder sich längere Pausenzeiten wünschen.

All dies ließe sich in einem modernen Betrieb mit altersgemischter Beschäftigungsstruktur umsetzen und kann bei der Bewerbersuche ein wesentliches Element eines guten Arbeitgeberimages sein, das sich im Netzwerk von Beschäftigten und Arbeitssuchenden schnell herumspricht. In mehreren Studien hat sich das Arbeitgeberimage als hochsignifikant für das Auftreten von Fachkräfteengpässen gezeigt. Ein positives Image aufzubauen und aktiv zu bewerben, ist eine der wichtigsten Personalstrategien. Unternehmen müssen zeigen, dass es sich lohnt, bei ihnen beschäftigt zu sein und in ihrer Region als attraktive Arbeitgeber präsent sein. Ein ganz entscheidender Standortvorteil, den ostdeutsche Betriebe im überregionalen Wettbewerb viel zu zögerlich bewerben, ist das gut ausgebaute öffentliche Kinderbetreuungsangebot, von dem viele qualifizierte Frauen in Westdeutschland nur träumen können und das für sie und ihre Familien ein wichtiger Entscheidungsfaktor bei der Bewerbung um neue Stellen sein kann. Beispielhaft zeigt dies, dass Betriebe mit Regional- und Landespolitik Hand in Hand gehen müssen, denn vor allem überregional mobile Arbeitskräfte suchen nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern auch ein attraktives Lebensumfeld.

Bildung, Bildung, Bildung

Aufgrund der Wirtschaftsstruktur in Brandenburg liegt der Schwerpunkt der Personalsuche auf Personen mit einer beruflichen, einer kaufmännischen oder einer Fachschul-Ausbildung. Bildungs- und Ausbildungspolitik sollten sich deshalb darum bemühen, den Anteil der Kinder und Jugendlichen zu verringern, die ‚auf der Strecke‘ bleiben und keinen Ausbildungs- oder nicht einmal einen Schulabschluss erreichen. Bildungspolitik muss sich auch in Brandenburg fragen: Was läuft schief, wenn wir jedes Jahr zu Schulbeginn beobachten können, wie stolz und wissbegierig die Erstklässler in ihre Schultage starten, egal, aus welchen Familien sie stammen; und wenn wir alljährlich nachzählen müssen, wie viele tausende Jugendliche wieder die Schule ohne einen Abschluss verlassen? Kein Bundesland kann sich den Verzicht auf dieses Potenzial leisten. Die Politik muss akzeptieren, dass die öffentlichen Bildungseinrichtungen familiäre Defizite kompensieren müssen, und dass dies eine entsprechende Prioritätensetzung in den öffentlichen Haushalten verlangt. Die häufig gestellte Forderung nach einer echten Bildungsoffensive gilt grundsätzlich für alle Bundesländer und gehört auch in Brandenburg an die Spitze der politischen Maßnahmen zur Prävention von Fachkräfteengpässen.

Dr. Anja Kettner,
Wissenschaftlerin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)

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