Themen - Nr. 3/2012

Engagieren sich Jugendliche in Potsdam genauso gerne wie diese hier in Lissabon? Warum nicht auch in Brandenburg Kneipen fördern, um die lokale Gemeinschaft zu stärken, so wie in England? Mit dem Transfer sozialer Innovationen werden Antworten erarbeitet.

Sozialunternehmertum

Europaweiter Transfer sozialer Innovationen

Das ESF-Projekt ‚entersocial Good Practice Transfer‘ von iq consult ergründet europaweit Vielfalt und Möglichkeiten sozialer Innovationen speziell in ländlichen Räumen. Über den Transfer der Erfahrungen wird hier berichtet.

Von September 2010 bis März 2012 tauschten sich Brandenburgerinnen und Brandenburger bei Studienreisen nach England, Frankreich, Portugal und Spanien sowie bei Veranstaltungen mit Fachleuten und Praktikern aus mehr als zehn verschiedenen Ländern der Europäischen Union (EU) aus. Das Ziel: Erfahrungen, Visionen und Konzeptideen zu teilen und für die regionale Entwicklung einzusetzen.

Projektpartner der ersten Phase waren der Social Innovation Park in Bilbao, Professor José Henriques von der Universität Lissabon sowie Ashoka Deutschland. (Ashoka ist eine internationale Non-Profit-Organisation, die seit 1980 in fast 70 Ländern in der ganzen Welt Social Entrepreneurs - Frauen und Männer - fördert, die als Unternehmerinnen bzw. Unternehmer mit innovativen, nachahmbaren Konzepten gesellschaftliche Probleme lösen; Anm. d. Red.)

England - Lokale Wertschöpfung

Trotz der langen Tradition in Deutschland spielt das Sozialunternehmertum in England eine größere Rolle als hier. Dies spiegelt sich auch in der Bandbreite von Unterstützungsformen für Sozialunternehmen wider.

Ein Beispiel für das soziale Unternehmertum ist die Plunkett Foundation. Bereits 1919 gegründet, unterstützt die Stiftung Kooperativen und Sozialunternehmen in ländlichen Gemeinden. Entscheidend ist die Stärkung der lokalen Gemeinschaft. Deshalb spielen neben Dorfläden, Erzeugerverbünden oder selbst organisiertem Nahverkehr die örtlichen Pubs eine wichtige Rolle.

Frankreich - Regionalwährung

Fachleute aus mehr als 20 Ländern trafen sich im Februar 2011 zur internationalen Konferenz über komplementäre Währungen (z. B. Regionalgeld) in Lyon. Mit dabei Uwe Kellermann von der ‚Havelblüte‘, ein Regionalgeldsystem auf der Basis eines Netzwerkes regionaler Unternehmen, Vereine und Privatpersonen aus Potsdam und seinem Umland, und Hans-Jürgen Fischbeck aus Joachimsthal, der sich seit Jahren für eine Regionalwährung in Nordost-Brandenburg engagiert. Die Ergebnisse wurden innerhalb eines Fachgesprächs in Oranienburg diskutiert: Statt stark engagierte Einzelakteure bedarf es einer eng vernetzen Gemeinschaft, um Regionalwährungen nachhaltig zu etablieren.

Portugal - Jugendengagement

„Über 30 Prozent der Jugendlichen in Deutschland würden sich gerne engagieren, finden aber nicht den Zugang. Das möchten wir ändern“, so Mareike Emde, Projektleiterin der Youth Changemaker City Potsdam. 2010 von der Ashoka Jugendinitiative gestartet und unterstützt vom Stadtjugendring Potsdam, fördert das Projekt Jugendliche mit eigenen Ideen. In Portugal trafen Projektleiter und Jugendliche unter anderem Armandio Rodrigues, der die Ashoka Jugendinitiative in Portugal aufbaut und 20 junge Engagierte aus ganz Portugal zum gemeinsamen Workshop eingeladen hatte. Im Anschluss wurde bei einem Fachgespräch in Potsdam über die Chancen eines fruchtbaren Zusammenspiels von Jugendsektor und der öffentlichen Verwaltung diskutiert. Im Ergebnis wurden der persönliche Kontakt und gegenseitiges Verständnis als besonders wichtig hervorgehoben.

Sinnbild für Umbrüche - das Guggenheim Museum im dekonstruktivistischen Baustil in Bilbao, 1997 fertiggestellt.
Sinnbild für Umbrüche - das Guggenheim Museum im dekonstruktivistischen Baustil in Bilbao, 1997 fertiggestellt.

Spanien - Raumpioniere

Raumpioniere begreifen wirtschaftliche wie soziale Umbrüche als Chance. José Perez, genannt Pericles, reagierte 1987 auf die Schließung der Eisen- und Stahlindustrie in Asturien und gründete Valnalón. „Alle haben auf ein großes Unternehmen gewartet, das der Region wieder Arbeitsplätze schenkt“, erinnert sich Marta Pérez beim Besuch der Brandenburgerinnen und Brandenburger im Februar 2012. Statt einem Arbeitgeber kamen Selbstständige, Kleinunternehmen und zunehmend Sozialunternehmen. Valnalón unterstützt sie mit Beratung, Büros und Vernetzung, gefördert von der regionalen Regierung. Gerhard Lichtner vom Gut Stolzenhagen erkennt Parallelen: „Auch bei uns in Nordbrandenburg ist die Struktur des wesentlichen und identitätsstiftenden Arbeitgebers, der LPG - Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, vor 20 Jahren fast komplett zusammengebrochen. Und die Folgen sind sehr ähnlich.“

Kooperation mit der Hochschule Eberswalde

Zwei Veranstaltungen wurden in Kooperation mit der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde organisiert. Beim Fachgespräch ‚Regenerative Landwirtschaft‘ erläuterten Pioniere der Permakultur ihren Ansatz, das Zusammenleben von Menschen, Tieren und Pflanzen langfristig zu ermöglichen und zugleich auf die Bedürfnisse und Ressourcen aller Rücksicht zu nehmen.

Am 7. November 2011 tauschten sich mehr als 70 Interessierte in zwei Arbeitsgruppen mit erfolgreichen Sozialunternehmerinnen bzw. Sozialunternehmern aus. Darunter waren neben Pericles auch Heinz Frey von der Nahversorgungsinitiative DORV e. V., die aktuell in Seddin aktiv wird, sowie Christian Hiß, Gründer der Regionalwert AG. Sein mehrfach ausgezeichnetes Konzept ermöglicht Akteuren in ländlichen Räumen die Investition in lokale und sozialökologisch nachhaltige Nahrungsmittelproduktion. (BRANDaktuell berichtete über das Projekt von Christian Hiß in der Nr. 5/2009 und Nr. 2/2011; Anmerkung der Redaktion.)

Alle Initiativen, Projektträger, Unterstützer und Förderer eint die Frage nach der Wirkung ihres Engagements. Eine Möglichkeit, die verschiedenen Interessen und den gesellschaftlichen Mehrwert in einer Kennzahl aufzubereiten, bietet das Verfahren SROI - Social Return on Investment (siehe auch BRANDaktuell Nr. 3/2009, S. 20, Anm. d. Red.). Zum Abschluss des Projekts bekamen Brandenburgerinnen und Brandenburger die Gelegenheit, das in Deutschland noch recht neue Verfahren von internationalen Fachleuten kennenzulernen.

Was bleibt und was kommt?

Christian Hiß konnte mit seinem Konzept eine Gruppe der Teilnehmerinnen und Teilnehmer begeistern, die bereits die ersten Züge eines ‚Regio-Wert Berlin-Brandenburg e.  V.‘ entwarfen. „Der Grundgedanke, mit einer AG- oder Genossenschaftsform Eigenkapital für nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten auf dem Land zu schaffen, trifft genau die strukturellen Probleme, die wir in der Region auch haben“, so Thorsten Wübber, Sprecher der Initiative. In Nordost-Brandenburg begeht die Regionalwährungsinitiative einen Neustart. Und die Permakulturbewegung konnte durch den Erfahrungsaustausch wertvolle Impulse mitnehmen und wird den transnationalen Dialog fortsetzen. Diese Initiativen erhalten von iq consult begleitende Beratung im ebenfalls vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie aus dem ESF geförderten Projekt ‚entersocial - Engagement für die Region‘.

Ab März 2012 geht ‚entersocial Good Practice Transfer‘ in die zweite Runde: In vier transnationalen Arbeitsgruppen arbeiten Brandenburger sowie Partner aus anderen europäischen Regionen zusammen, um Strategien und Kooperationsprojekte in den Themenfeldern regionale Wirtschaft, dörfliche Entwicklung und nachhaltige Landwirtschaft zu entwickeln. Wir halten Sie dazu in einer der nächsten Ausgaben auf dem Laufenden.

Elena Knaack, iq consult

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Infos

iq consult entwickelte im Projekt Fallstudien über beispielhafte Modelle zur Unterstützung von Sozialunternehmen sowie Porträts erfolgreicher Social Entrepreneure aus Europa.
Die Ergebnisse finden Sie auf den Internetseiten der iq consult gmbh.

ESF-Logo Land BrandenburgDas Projekt wird aus Mitteln des ESF und des Landes Brandenburg gefördert.