Bisher ist der erwartete Zustrom ausgeblieben
Nur wenige osteuropäische Arbeitnehmer wollen in Brandenburg arbeiten
Es waren gegensätzliche Szenarien, die im Vorfeld des 1. Mai 2011 entwickelt wurden: So warnte die Gewerkschaftsseite vor einem hohen Ansturm von Arbeitsmigranten, die in Deutschland Lohndumping auslösen würden. Die Wirtschaft versprach sich dagegen von der Grenzöffnung eine Linderung des Fachkräftemangels. Die nüchterne Bilanz nach gut einem halben Jahr zeigt: Nichts von dem ist eingetreten. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hatten bis zum Juni dieses Jahres 24.000 osteuropäische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine sozialversicherungspflichtige oder geringfügige Beschäftigung aufgenommen. Im Land Brandenburg waren es 2.500 Personen.
Doch was sind die Ursachen dafür, dass so wenige Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn in Deutschland arbeiten wollen.
Wissenschaftler, die über die Arbeitnehmerfreizügigkeit geforscht haben, nennen folgende Gründe für die abgeschwächte Zuwanderung:
- Aus Sicht von Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung ist Deutschland aufgrund der Lohnstruktur und des fehlenden Mindestlohns für ausländische Arbeitskräfte eher unattraktiv.
- Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung führt die stark umgelenkten Wanderungsströme an. So seien vor der EU-Osterweiterung 70 Prozent der osteuropäischen Arbeitskräfte nach Deutschland und Österreich gekommen. Seit 2004 sind wegen der dortigen Arbeitnehmerfreizügigkeit Großbritannien und Irland für die Zuwanderer wesentlich attraktiver geworden (s. a. S.12).
- Laut Tomasz Kalinowski, polnischer Gesandter-Botschaftsrat, würden polnische Studien zeigen, dass Deutschland und Belgien für auswanderungswillige Polen interessante Zielländer sein könnten, sofern man die dort erzielbaren Bruttoeinkommen betrachtet. Lege man hingegen die Nettoeinkommen zugrunde, so sei verständlich, warum die britischen Inseln, die Schweiz oder die Niederlande interessanter erscheinen.
- Arbeitsmarktexperte Stefan Hardege, Deutscher Industrie- und Handelskammertag, sieht die Ursache in der späten Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Denn viele Fachkräfte, die dringend benötigt werden, seien bereits vorher in andere Länder gegangen. Zudem würde auch in Osteuropa die Bevölkerung schrumpfen, entsprechend sei die Kapazität an Arbeitskräften dort ebenfalls beschränkt.
- Für Klaus F. Zimmermann, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, ist der Hauptgrund, dass es Deutschland versäumt habe, sich als attraktives Zielland zu profilieren. Gäbe es eine gezielte Anwerbestrategie, dann würde die Öffnung für Deutschland langfristig deutlich positive Effekte mit sich bringen.
Zuwanderer anwerben
Klaus F. Zimmermann gibt in seiner Stellungnahme bereits die Richtung vor, mit der vor allem die Arbeitgeberseite den bisher geringen Zustrom qualifizierter Arbeitnehmer erhöhen will, um dem Fachkräftebedarf langfristig zu decken. So fordert beispielsweise die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände eine echte ‚Willkommenskultur‘, die deutlich mache, dass ausländische Fachkräfte bei uns gebraucht werden und willkommen seien. (em)